"Diese Globalisierung ist zu Ende gegangen": Robert Habeck stimmt Deutschland auf ein neues Wirtschaftsmodell ein Kaum ein europäisches Land hat so sehr vom freien Handel profitiert wie Deutschland. Kaum eines verspürt den Druck der gegenwärtigen geopolitischen Krisen so sehr. Der deutsche Wirtschaftsminister blickt daher wenig hoffnungsvoll in die Zukunft - die von der amerikanisch-chinesischen Konfrontation geprägt sein wird.

Rewert Hoffer,
Berlin 22.09.2023, 17.38 Uhr

Blickt in eine ungewisse Zukunft: der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Janine Schmitz / Imago

Es dauert nicht lange, bis Robert Habeck das fundamentale Problem der deutschen Wirtschaft auf den Punkt bringt. Zu Beginn der Fragerunde beim Transatlantic Forum on Geoeconomics in Berlin stellt der deutsche Wirtschaftsminister fest: "Unser Wirtschaftsmodell beruhte auf billigem russischem Gas und dem chinesischen Markt. Das eine gibt es nicht mehr, und China ist nun ein systemischer Rivale."

Zunächst wirkte Habeck wie sonst auch, als er an diesem Freitag in den Konferenzsaal unweit des Brandenburger Tors schlenderte: Umhängetasche, keine Krawatte, Hand in der Hosentasche. Doch die zur Schau gestellte Gelassenheit war schnell verflogen, als der Wirtschaftsminister zu seiner Rede auf der Konferenz ansetzte, die von der Atlantik-Brücke und dem Atlantic Council ausgerichtet wurde.

Darin skizzierte er ein dunkles Bild von Deutschlands Zukunft. Das Land, das wie kaum ein anderes in Europa vom freien Handel und von der geopolitischen Stabilität seit Ende des Kalten Kriegs profitiert hat, steht seiner Ansicht nach vor immensen Herausforderungen - ökonomischen und politischen.

Das Ende der Globalisierung?

"Die Globalisierung, wie wir sie in den letzten drei Jahrzehnten kannten, ist unter Druck. Ich glaube, sie ist zu Ende gegangen", sagt der Wirtschaftsminister gleich zu Beginn seiner Rede vor Wirtschaftsführern, Akademikern und Politikern. Eine neue Zeit der Geopolitik sei angebrochen.

Laut Habeck hat die Globalisierung seit den 1990er Jahren ihre Versprechungen nicht erfüllt. Er gesteht zwar zu, dass sie Millionen Menschen auf der Welt aus der Armut geholt hat. Doch sie habe in den westlichen Gesellschaften auch zu einem Hoch des Rechtspopulismus geführt, "wie wir ihn seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben".

Die Wurzel der gegenwärtig hohen Zustimmung zum Populismus liegt nach Ansicht Habecks in einer Enttäuschung: "Das Versprechen, dass es jeder mit harter Arbeit allein schaffen kann, gilt nicht mehr." Habeck glaubt nicht, dass dies ein spezifisch deutsches Problem sei, sondern sieht einen globalen Trend aufziehen.

Nicht nur wegen dieses inneren Drucks, sondern auch wegen der internationalen Krisen ist der Wirtschaftsminister überzeugt, dass die von ihm skizzierte Zeitenwende bevorsteht. "Die neue Welt ist eine, in der wirtschaftliche Fragen die Politik nicht allein leiten können."

Trotz allen Herausforderungen blieb Habeck vorsichtig optimistisch. "Ich bin immer noch idealistisch und denke, dass Politiker grosse Probleme lösen können." Deutschland bleibe die grösste europäische Wirtschaftsmacht, habe einen attraktiven Sozialstaat und sei ein Teil des europäischen Binnenmarkts. "Wir brauchen keine Angst zu haben."

Der drohende Subventionswettlauf mit den USA

Das klarste Zeichen des von ihm beschriebenen Wandels sei natürlich der russische Krieg gegen die Ukraine. Doch Habeck weist darauf hin, dass auch von unerwarteter Seite Gefahr für die Wirtschaft Deutschlands und Europas droht.

"Alle grossen Volkswirtschaften versuchen Einflusssphären aufzubauen - auch die USA", stellte er mit Blick auf die Inflation Reduction Act (IRA) fest. Das amerikanische Gesetz soll Investitionen in grüne Energie in Höhe von 369 Milliarden Dollar mobilisieren.

Die IRA sieht beispielsweise Steuergutschriften beim Kauf von Elektroautos vor. Die Bedingung dafür ist jedoch, dass das Fahrzeug "in Nordamerika" montiert worden ist. Ähnliche Vorgaben sind etwa für Hersteller von Batterien vorgesehen, sofern sich diese in den USA befinden. In Europa besteht die Sorge, dass so ein Subventionswettlauf losgetreten werden könnte und Zukunftstechnologien wegen der Steuervorteile in die USA abwandern.

Trotz diesen Differenzen lobt Habeck die "wundervolle Freundschaft" zwischen Deutschland und den USA. Wie hoch diese Freundschaft allerdings auf der Prioritätenliste in Washington ist, weiss er nicht: "Wir können aus einer europäischen Perspektive nicht übersehen, dass die wichtigste Beziehung für die USA nicht jene zu Europa, sondern die zu China ist."

Dies bekräftigte Katherine Tai. "Die Biden-Regierung nimmt das Management der chinesisch-amerikanischen Beziehungen sehr ernst", sagte die US-Handelsbeauftragte auf der Konferenz.

Wenig überraschend bestärkte die Amerikanerin ihr europäisches Publikum darin, einen härteren Kurs gegenüber China einzuschlagen. Konkret befürwortete Tai die Ankündigung der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen, eine Anti-Subventions-Untersuchung gegen chinesische Elektroautos einzuleiten.

Denkbar ist, dass die EU am Ende der Untersuchung Strafzölle auf importierte Elektroautos erheben wird und damit einen neuen Handelskrieg mit China auslöst. Deutschland sieht den Plan skeptisch, da es chinesische Ausgleichszölle fürchtet.

"Die EU erkennt, dass der globale Handel heutzutage nicht fair verläuft", sagte Tai. "Und deswegen gibt es Dinge, die wir marktwirtschaftlichen Staaten tun müssen, um unsere Interessen zu verteidigen."

Deutschland zwischen den Machtblöcken

Die Aussagen von Bidens Handelsbeauftragter zeigen, dass Deutschlands Probleme in den nächsten Jahren noch zunehmen könnten. Ein nicht unwahrscheinliches Szenario ist eines, in dem Deutschland zwischen sich verhärtenden Machtblöcken eingeklemmt ist. Auf der einen Seite die USA, die für Deutschlands Sicherheit sorgen. Auf der anderen Seite China, von dem es wirtschaftlich abhängig ist.

Robert Habeck hat das erkannt. "Was wird die europäische Industrie machen, wenn sich der Konflikt zwischen den USA und China verstärkt?", fragte er. "Wenn wir vor der Entscheidung stehen, Autos entweder in China oder auf dem amerikanischen Markt zu verkaufen?" Eine Antwort blieb er seinem Publikum schuldig. Doch die Gefahr besteht, dass der deutsche Wirtschaftsminister sie eher früher als später finden muss.


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